Archiv
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Münchner Hausmüll und Münchner Trinkwasser
Die Verfüllung der Kiesgruben auf beiden Seiten der Gautinger Straße Anfang der 1950er-Jahre mit Münchner Hausunrat sowie der damit eng verbundene Beschluss zum Anschluss Neurieds an das Münchner Trinkwassernetz (1953) war in den vergangenen Wochen Gegenstand intensiver Diskussionen. Im Gemeindearchiv lagern zahlreiche Dokumente aus dieser Zeit. Anbei einige Fakten:
Bürgermeister Josef Doll erteilt „grünes Licht“ für Hausmüllentsorgung in Neuried.
Am 17. März 1950 schrieb Josef Doll an die Verwaltung der Hausunratabfuhr München:
„Die Gemeinde Neuried erhebt gegen die Einfüllung der von der Fa. Röhrl gepachteten Kiesgrube in Neuried keine Erinnerung. Sie ersucht jedoch zur Verhütung, daß leichte Abfälle wie Papier und dergl. vom Wind fortgetragen werden, um Anbringung eines Drahtzaunes am nördlichen Teil der Kiesgrube.“ Bemerkenswert: Der Gemeinderat hatte sich zuvor überhaupt nicht mit der Angelegenheit befasst. Doll handelte in diesem Fall also nicht nur naiv sondern auch eigenmächtig.
Bürgerproteste und Bürgerversammlung
Am 14. Juni 1950 schickten ca. 40. Bürger einen Protestbrief direkt an das Landratsamt. Kritisiert wurden vor allem Gestank, Ungeziefer und „Schmeissfliegen“. Franz Schuster beschwert sich daraufhin Anfang Juli 1950 im Namen des Gemeinderats bei der Stadt München. „Besonders aber ist die Trinkwasserversorgung der [Dr.-Rehm-]Siedlung am meisten gefährdet.“ Trinkwasser wurde bis dato in Neuried ausschließlich aus Pumpbrunnen bezogen. Der Gemeinderat fordert die sofortige Einstellung der Müllablagerungen. Im Protokoll einer turbulenten Bürgerversammlung vom 15. Juli 1950 ist aber festgehalten: „Die Abstimmung ergab, daß der größte Teil der Bevölkerung den Anschluß an die Städt. Wasserleitung z. Zeit ablehne.“
Ein Herr vom Gesundheitsamt gab sich mit folgenden Auflagen zufrieden: „Der Hausunrat muss mit genügend Bauschutt vermengt, mit Kali überstreut und die Oberfläche mit Humus abgedeckt werden.“ Wenn dies vorschriftsmäßig erfolge, könne „das Gesundheitsamt gegen die Einfüllung keinen Einspruch mehr erheben.“
Verfüllung der Gruben
Die Grube wurde vornehmlich mit Münchner Hausmüll verfüllt. Hinzu kamen Bauschutt und Bio-Abfälle von der Münchner Großmarkthalle. Auch die Ablagerung von Industrieabfällen durch die „Gummiwerke Metzeler A.G“. im August 1950 ist dokumentiert. Die Abfälle lösten einen größeren Brand aus, der von der Freiwilligen Feuerwehr bekämpft werden musste. – Auch Kiesmassen, die beim Bau der „Olympiastraße“ anfielen, wurden zur Auffüllung der Gruben verwendet.
Beschädigung der Brunnenanlage
Im Juli 1951 wurde die für die Löschwasserversorgung erforderliche Wasserpumpanlage durch einen Gewitterguss verschüttet und erheblich beschädigt.
Anschluss an das Münchner Trinkwassernetz
Der Zustand des Trinkwassers aus den Neurieder Pumpbrunnen verschlechtert sich zunehmend. Mitte Juli 1953 gibt der Gemeinderat schließlich eine Erklärung ab, in der er der Stadt München die vollständige Auffüllung der Gruben gestattet, wenn die Stadt München im Gegenzug auf ihre Kosten Neuried an ihr Trinkwassernetz anschließt. Der Gemeinderat verpflichtet sich auch zum Zwangsanschluss aller Einwohner an das neue Trinkwassernetz. Tags darauf beschließt der Münchner Stadtrat den Anschluss der Gemeinde Neuried an das Münchner Trinkwassernetz. Ab dem Jahr 1954 fließt das erste Münchner Trinkwasser durch Neurieder Leitungen.
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Neuried vor 70 Jahren
Kriminalität
Bürgermeister Joseph Doll berichtet dem Landrat im Juli 1945: „In der Gemeinde ereigneten sich zuletzt wiederholt Plünderungen, Diebstähle, Raubüberfälle auf den Straßen, wobei den Radfahrern durch Ausländer die Fahrräder abgenommen wurden unter Androhung von Erschießung mit Pistolen. Die Gemeinde ist vollständig schutzlos.“ Die Ernährungslage sei gut, aber „Aus der Stadt München kommen die Leute und reißen jetzt schon die Kartoffelkräuter aus dem Boden, obwohl diese noch ganz grün sind und die Kartoffeln erst schussergröße* haben.“
* Schusser = Murmel
Schonender Umgang mit NSDAP-Mitgliedern
Der neu gewählte Gemeinderat hat sich auf seiner ersten Sitzung im Januar 1946 mit einer „Richtlinie über Nazi und deren Heranziehung zu niedriger körperlicher Arbeit“ zu befassen. Altbürgermeister Joseph Kaiser und sechs weitere hervorgehobene Nazi-Aktivisten sind noch in Haft; sie stehen also nicht zur Verfügung. Der Gemeinderat wählt daher 13 NSDAP-Mitglieder aus der zweiten Reihe aus. Einige legen ein ärztliches Attest vor, andere verweisen darauf, sie hätten bereits genug niedrige Arbeiten verrichtet. Im Februar wird protokolliert: „Es haben sämtliche Aktivisten Einspruch erhoben und der Gemeinderat gab dem Einspruch statt.“
Flüchtlingswelle
Ernst Federl, ab 1968 für insgesamt 16 Jahre 2. Bürgermeister Neurieds, erinnert sich an den 20.4.1946: „Mit Freunden befand ich mich am Nachmittag an der Ortskreuzung, wo wir auf dem Kastanienbaum, an dessen Stelle heute ein Ampelmast steht, herumkletterten, als zwei Lastwagen auf der Münchner Straße ankamen und vor der Gaststätte Großmann, heute ein Chinesisches Lokal, anhielten. Von der Ladefläche kletterten Männer, Frauen und zahlreiche Kinder.“ Es gab „Vorurteile und auch Auseinandersetzungen. Das Problem der Integration erfasste alle Altersgruppen.“
Die Flüchtlinge erhielten Gemüsegärten an der Münchner Straße. Sie bauten Häuser und Siedlungen und wurden rasch erfolgreich integriert.
Neuried hatte bei Kriegsende weniger als 500 Einwohner. Bis zum Frühjahr 1946 wurden über 200 Flüchtlinge aufgenommen. Aus einer Statistik vom März 1950 geht hervor: 40% aller Einwohner Neurieds (330 von 823) waren Flüchtlinge oder Evakuierte.